Wenn Affirmationen schaden

Nicht nur in der spirituellen oder Eso-Szene, sondern auch im Coaching und im Rahmen der Persönlichkeitsentwicklung wird viel und gerne mit Affirmationen gearbeitet. Aus Social Media sind sie auf einschlägigen Seiten kaum noch wegzudenken. „Ich bin wertvoll. Ich bin selbstbewusst. Ich bin glücklich.“ – Ist hip und liest sich gut. Aber welchen Nutzen haben diese kleinen, positiv formulierten Sätze tatsächlich?

Was sind Affirmationen?

Eine Affirmation ist im ursprünglichen Sinne des Wortes eine Bestätigung, Bekräftigung oder Bejahung. Das Englische „to affirm“ kann auch mit „behaupten“ übersetzt werden (vgl. „Affirmation“, 2022). Seit Selbsthilfebücher und spirituelle Ratgeber Einzug in den hiesigen Buchmarkt genommen haben und die Selbstoptimierung Hochkonjunktur hat, werden Affirmationen, als vermeintlich einfachste Methode das eigene Denken und Handeln zu ändern und erwünschte Zustände zu erreichen, oft als Mittel der Wahl propagiert. Sie versprechen die schnelle Transformation des Selbst hin zur Realisierung eines wahrlich traumhaften Lebens.

Anwendung von Affirmationen

Die kurzen Sätze sollen, regelmäßig angewandt, zu einem erfüllten, glücklichen Leben führen. Der*Die Anwender*in sei damit in der Lage, sich das Leben zu kreieren, dass er*sie sich wünsche. Das klingt zunächst verlockend. Eine mögliche Anleitung habe ich auf http://www.empathie-lernen.de gefunden. Hier werden unter anderem folgende Beispiel-Affirmationen genannt:

  • Ich erfreue mich bester Gesundheit
  • Die Menschen um mich herum werden Tag für Tag freundlicher
  • Mit jedem Tag werde ich selbstbewusster
  • Ich lebe mit meiner Traumfrau zusammen in Liebe und Harmonie
  • Ich verdiene immer mehr Geld

Die Sätze sind kurz und prägnant, positiv und im Präsens formuliert, enthalten keine Verneinung, keinen Konjunktiv oder Imperativ. Gemäß dieser Beispiele kann eine individuelle Affirmation kreiert werden, die, verbunden mit positiven Gefühlen, über eine gewisse Zeit lang regelmäßig wiederholt werden soll. Der formulierte Zielzustand soll so, nach mindestens 3 Monaten, in denen der Satz täglich 3 Minuten wiederholt wird, sukzessive eintreten und einen selbstsichereren Menschen aus dem*der Anwender*in machen (vgl. Düllings 2015).

Wie wirken die Affirmationen?

Affirmationen wurden dem Konzept des positiven Denkens entlehnt. Man geht hierbei davon aus, dass positive Gedanken zu einer optimistischen Grundhaltung und infolgedessen zu einer höheren Lebensqualität und einem erfüllten Leben beitragen. Was Innen ist, manifestiert sich im Außen. So das Grundprinzip. Wie Affirmationen jedoch tatsächlich ihre angepriesene Wirkung entfalten und die affirmierten Szenarien Wirklichkeit werden lassen, ist bislang wissenschaftlich nicht erwiesen.

Die Professor*innen Wood, Perunovic und Lee von den Universitäten Waterloo und New Brunswick prüften die Hypothese, ob Affirmationen nicht sogar den gegenteiligen Effekt haben und Menschen schaden können. Die Teilnehmer*innen der Studie zeichneten sich zu gleichen Teilen durch ein hohes und niedriges Selbstwertgefühl aus. Die Affirmation, die zu einem gesteigerten Wohlbefinden führen sollte, lautete: „Ich bin ein liebenswerter Mensch“. Den Teilnehmer*innen mit einem niedrigen Selbstwertgefühl ging es nach dem Test noch schlechter, jene mit ohnehin hohem Selbstwert nur unwesentlich besser. Fühlt sich ein Individuum nicht liebenswert, wird es automatisch viele Gegenbeweise finden, die der Affirmation „Ich bin liebenswert“ widersprechen (vgl. Dr. Seiger, 2022). Wie eine leise Stimme, die, während des Aufsagens des bestärkenden Satzes, die ganze Zeit im Hintergrund „Stimmt doch gar nicht!“ sagt. Subtil, aber nicht zu überhören.

„Beispielsweise konnten Untersuchungen zum Ändern von Einstellungen zeigen, dass Nachrichten, die ohnehin schon nahe an den eigenen Einstellungen liegen, überzeugender sind als jene, die mit der eigenen Position kaum übereinstimmen. Letztere Botschaften werden häufig vehement zurückgewiesen. Positive Selbstgespräche könnte man auch als solche Überzeugungsversuche verstehen – und die sind natürlich umso erfolgreicher, je besser sie zur vorhandenen Einstellung passen. Wer sich selbst also nicht für liebenswert hält, sich das aber trotzdem einreden will, hält sich hinterher dann womöglich für noch weniger liebenswert als zuvor.“

Dr. Christine Seiger, 2022

Das ist ein bisschen wie mit der toxischen Positivität: negativ erlebte Situationen oder Gedanken können durch die Überbetonung von Positivem – das am Ende sogar noch diametral zu dem steht, was die Person selbst glaubt, fühlt und denkt – nicht eliminiert werden. Im Gegenteil: das macht die Situation langfristig noch schlimmer. Das Problem wird nicht im Kern behandelt und durch den ausbleibenden Erfolg entstehen Frust, Hoffnungslosigkeit und das Gefühl nicht richtig zu sein – weil man es nicht schafft glücklich und zufrieden zu sein, sich wirklich liebenswert zu fühlen.

Annehmen was ist

Schon im Blogbeitrag „Warum wir aufhören sollten glücklich sein zu wollen, um glücklich zu sein“ habe ich erwähnt, dass ein Weg zum Glück der sein kann, radikal anzunehmen was ist. Alle Schattenseiten, negativen Emotionen, vermeintlichen Schwächen und persönlichen Defizite. Das bedeutet nicht, dass ich es gutheißen muss, dass mein Selbstwert gering ist und ich mich nicht liebenswert finde. Allerdings kann es sehr befreiend sein, diese Beobachtung anzunehmen und erst einmal einfach so stehen zu lassen, ohne Wertung, ohne forcierte Gegen-Affirmation, die dieses, vielleicht als unangenehm erlebte, Gefühl entmachten soll. Das „Annehmen was ist“ folgt dem Prinzip der Acceptance and Commitment Therapie, die seit etwa 30 Jahren im Rahmen von verhaltenstherapeutischen Behandlungen große Erfolge erzielt hat.

Das Versprechen mit Affirmationen transformative Prozesse anzustoßen halte ich für gefährlich. Allzu groß kann die Enttäuschung sein, die mit dem ausbleibenden Erfolg einhergeht und im schlimmsten Fall wird eine noch tiefere Krise ausgelöst. Glaubenssätze werden fortwährend geprägt und formiert. Meist geschieht das im Unterbewussten, nur ein Bruchteil dessen ist uns selbst bewusst. Hierauf einfach positiv gemeinte Affirmationen zu „kleistern“ kann schnell unauthenthisch wirken und sich auf eine subtile Art falsch anfühlen. Sind die Probleme tiefgreifender Natur, ist eine therapeutische Behandlung empfehlenswert und manchmal vielleicht unabdingbar. Dies gilt es vorab zu klären.

Wie Affirmationen genutzt werden können

Affirmationen sind natürlich nicht per se schlecht. Wie in der Studie belegt, fühlten sich Menschen mit einem ohnehin hohen Selbstwert zumindest ein wenig besser, nachdem sie den bekräftigenden Satz aufgesagt haben. Affirmationen wirken also dann, wenn das Gesagte dem entspricht, was ohnehin den Glaubenssätzen oder der gefühlten Wahrheit desjenigen gleich kommt. So kommen wir wieder zu der eigentlichen Wortbedeutung zurück: „Bejahung, Bestärkung“. Es können jene Ansichten bestärkt und bejaht werden, die bereits dem Fühlen, Denken und Glauben entsprechen. Der Blick wird bewusst auf etwas gerichtet, das ohnehin schon vorhanden ist. Das kann positive Gefühle verstärken. Lebensverändernde, transformierende Prozesse werden damit wohl nicht ausgelöst – dazu bedarf es einer offenen Auseinandersetzung mit dem was ist – aber es ist ein netter Weg, um sich bewusst zu machen, was da bereits Positives im Leben und an der eigenen Person existiert.

Auch können Affirmationen bei der Annahme einer Situation unterstützen:

  • Ich darf unglücklich sein.
  • Ich spüre, dass ich mich nicht liebenswert fühle.
  • Ich merke, dass mich diese Situation traurig stimmt.

Diese Affirmationen folgen dem Prinzip der Achtsamkeit. Bewusst wahrnehmen was gerade ist, was passiert. Sich selbst und die eigenen Gefühle reflektieren und anerkennen. Damit wird eine Beziehung zur Innenwelt geschaffen. Gefühle und Wahrnehmung werden nicht einfach mit Affirmationen überdeckt. Positiv zu denken und den Fokus auf das Positive zu richten, verbessert in jedem Fall die Lebensqualität und die Zufriedenheit. Die Voraussetzung dafür ist jedoch, zunächst einmal das anzunehmen was ist. Dann kann auch der Perspektiv-Wechsel gelingen (vgl. Hebling, 2020).


Quellen:

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