Warum wir damit aufhören sollten glücklich sein zu wollen, um glücklich zu sein.

Das Glück ist zum Greifen nahe – beinahe an jeder Ecke scheint es auf uns zu warten. Bücher wie „In zehn Schritten zu mehr Glück“ oder andere Glücksratgeber, Glückscoachings, Selbstoptimierungs-Angebote, Achtsamkeitstrainings oder Entspannungs-Workshops haben Hochkonjunktur. Die Auswahl ist schier unendlich und alle versprechen den lang ersehnten, inneren Frieden und das große Glück. Die Nachfrage bestimmt das Angebot. Bei dieser Vielfalt kann das Glück nichts sein, das ewig währt. Woran liegt das?

Was ist Glück?

Zunächst sollten wir einmal die Begriffe Glück und Zufriedenheit unterscheiden. Das Zufriedenheitslevel eines Individuums wird bereits in der frühen Kindheit geprägt und bleibt von da an ein Leben lang relativ konstant. Glück hingegen ist eine temporäre Abweichung dieses Normalzustandes, die sowohl von optimistisch als auch pessimistisch veranlagten Menschen erlebt wird. Erstere erleben dieses Glücksgefühl jedoch intensiver und länger als jene, die dem Leben gegenüber eher negativ eingestellt sind. Aus neurobiologischer Sicht ist das Glück ein Zusammentreffen aus den Botenstoffen Dopamin, Serotonin und dem „Kuschelhormon“ Oxytocin, das uns zu kontaktfreudigeren Menschen macht (vgl. Reinberger, 2014).

In der Philosophie gibt es mehrere Ansätze, das Glück zu definieren. So sah Lao Tse das Glück im Nichtstun und postulierte, der Mensch sei nur glücklich, wenn er aufhöre nach Glück und dem Erreichen von Zielen zu streben. Der Hedonismus beschreibt das Glück als einen Zustand, in dem der Mensch schmerzfrei ist, Lust und Genuss erlebt. Die Eudämonie geht hingegen davon aus, dass jene glücklich sind, die ein tugenhaftes Leben führen (vgl. Sax, 2020)

Die positive Psychologie und die Glücksforschung hat sich ebenfalls dem Mysterium „Glück“ gewidmet. Durch empirische Untersuchungen wollen Forscher herausfinden, was glückliche Menschen von den weniger glücklichen unterscheidet. Hier geht man unter anderem davon aus, dass gewisse Handlungen, Denk- und Verhaltensmuster zum Glück führen.

Die Glückssuche

Die Suche nach dem Glück hat leider oft den gegenteiligen Effekt: sie macht unglücklich. Das ergebnisorientierte Streben nach dem Glück lässt im Glauben, dass nur der perfekte Partner, die perfekte Wohnung, die Gehaltserhöhung, der perfekte Job, der perfekte Urlaub benötigt wird, um glücklich zu sein. Werden die Erwartungen übertroffen oder erfüllen sich die Wünsche, wird Dopamin ausgeschüttet und endogene, also körpereigene, Opioide produziert. Wir lernen, dass das entsprechende Ereignis ein solches Glücksgefühl ausgelöst hat und so streben wir danach, dies immer wieder zu erleben (vgl. Glücksforschung, 2021). Die Suche nach dem Glücks-Kick. Leider ist das menschliche Gehirn nicht darauf ausgelegt langfristig glücklich zu sein und so wird der Effekt des herbeigesehnten, perfekten Zustandes nicht lange anhalten. Das Verbesserungspotential ist schnell entdeckt und schon geht die Suche weiter (vgl. Sax, 2020).

Toxische Positivität

Das Streben nach Glück kann nicht nur unglücklich machen, sondern sogar Depressionen und Ängste auslösen. 25% aller Menschen werden in ihrem Leben an einer Angststörung leiden, 20% an einer Depression (vgl. DGPPN, 2015). Neben anerkannten psychologischen Störungsbildern sorgen Trennungen, Arbeitslosigkeit, Insolvenzen, Stress und andere Faktoren dazu, dass Menschen sich nicht gut fühlen. Der Druck, der durch die Suche nach dem Glück entsteht oder die „Tatsache“, dass vermeintlich alle anderen glücklich sind, nur man selbst nicht, wird plötzlich Ursache des unerwünschten Unglücks.

Immer das Positive in Ereignissen zu sehen, versuchen dankbar zu sein, auch wenn man sich nicht gut oder danach fühlt und um jeden Preis „negative“, also belastende, Emotionen zu vermeiden oder zu verdrängen, wenn sie aufkommen – das macht auf Dauer krank. Wut, Trauer, Ärger und andere, vergleichbare Gefühle sind menschlich und gehören zum Leben dazu. Wenn wir uns nicht gestatten diese zu fühlen, verurteilen wir uns, lehnen uns und unser Erleben ab. Das führt auf Dauer zu einer enormen, psychischen Belastung und spaltet uns immer weiter von unserem wahren Kern ab. Nicht jedes Ereignis im Leben hat einen Grund und selbst der beste Glücksschmied, kann nicht immer erfolgreich sein. Es gibt Widrigkeiten des Lebens, auf die wir keinen Einfluss haben und selbst wenn, lassen sie sich doch nicht immer verhindern: der Tod einer geliebten Person, eine schlimme Krankheit, Arbeitslosigkeit, die Trennung vom Partner/der Partnerin…. die Liste kann beliebig fortgeführt werden. Wenn etwas in unserem Leben passiert, das uns verzweifeln, trauern, wütend sein lässt, dann möchten diese Emotionen gesehen und gespürt werden. Dann gibt es manchmal keine Erklärung für das Unvorstellbare, das geschehen ist. Kein Dankbarkeitstagebuch und keine Positivitäts-Übung können diese Emotionen eliminieren und das ist völlig in Ordnung (vgl. Kolnsberg, 2020).

Radikale Annahme

Die Suche nach dem Glück lässt uns vergleichen: mit allen anderen Menschen, die so glücklich zu sein scheinen oder unseren eigene Idealvorstellungen. Wir bekommen das Gefühl, dass Glück der Normalzustand ist, dass etwas nicht mit uns stimmt, wenn wir nicht glücklich sind (vgl. Harris (2013), S.25ff). Wir haben ein Narrativ in unserem Kopf, das vom perfekten Leben erzählt. Dagegen hat die Realität kaum eine Chance. Wir können durch gewisse Praktiken und Einstellungen sicherlich glücklicher und erfüllter sein und leben. Die Prämisse hierfür ist jedoch, dass wir zunächst radikal akzeptieren, was ist. Unsere Geschichte, unser Leben, unsere aktuelle Lebenssituation, die eigene Person und Persönlichkeit mit allen (un)liebsamen Eigenschaften und (vermeintlichen) Schwächen. Es ist wichtig, dass wir annehmen lernen, dass „Unglück“ zum Leben gehört, dass es uns schlecht gehen darf, dass wir nicht gut drauf sein dürfen, dass wir verletzt und traurig sein können, dass uns etwas Angst macht. Glücklich sein bedeutet nicht, dass es uns immer zu jeder Zeit gut geht und wir das Leben mit offenen Armen und Sonne im Herzen willkommen heißen. Glück ist eine Frage für die jeder die eigene, maßgeschneiderte Antwort finden darf.

Entspannt glücklich

Wir dürfen uns also ganz entspannt zurücklehnen, uns mit unserer facettenreichen Gefühlswelt und allem, das zu unserem Leben gehört annehmen – dem Positiven und Negativen. Kein Mensch ist dauerhaft glücklich und hat nur gute Gedanken. Wir dürfen uns von übersteigerten Idealen lösen, weinen, wenn wir weinen müssen, wir können die kleinen Glücksmomente auf unserem Weg genießen und Praktiken nutzen, die uns dabei unterstützen uns glücklicher zu fühlen – wenn wir uns bewusst sind, dass es uns nicht immer gut gehen muss und es nicht darum geht, den ganzen Tag mit einem Lächeln auf den Lippen und Dankbarkeit im Herzen durch die Welt zu gehen. Vielleicht ist die Erwartungshaltung an das Glück also der zentrale Faktor, der die glücklichen von den weniger glücklichen Menschen unterscheidet.

Quellen:

1 Kommentar zu „Warum wir damit aufhören sollten glücklich sein zu wollen, um glücklich zu sein.“

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